Still & Stark #2: "Die Macht der Stillen"

So titelt Die Zeit in ihrer aktuellen Printausgabe. Die Autor*innen werfen einen kritischen Blick auf unsere Arbeitswelt, in der "ruhige und bescheidene Menschen chronisch unterschätzt werden". Woran das liegt? An ihrer leisen und zurückhaltenden Art, die sie lieber im Hintergrund und im Stillen agieren lässt. Ohne große Worte und ohne den Drang nach Rampenlicht.

 

Das Problem dabei: Auf diese Art wird man weder sicht- noch wirklich greifbar.

 

Nicht zuletzt, weil ein sozialpsychologisches Hindernis mitspielt: Der sogenannte Halo-Effekt, der bedeutet, dass aufgrund eines ersten Eindruckes Rückschlüsse auf Eigenschaften und Fähigkeiten gezogen werden, die eigentlich noch gar nicht beurteilt werden können. Selbstbewusst auftretende Menschen erhalten also quasi Vorschusslorbeeren in Sachen Kompetenz. Im Umkehrschluss gibt es diesen Blankoscheck eben nicht für diejenigen, die lieber erst beobachten, zuhören und analysieren.

 

In dem Bericht werden zudem Aspekte hinterfragt, die sich zu gehypten Business-Maximen entwickelt haben, introvertierten Menschen aber den Arbeitsalltag erschweren. Das Agile Arbeiten etwa, das als Heilsversprechen gepriesen wird, in der Realität allerdings nicht selten zu heilloser Überforderung führt. Open Space Offices, die überall eingerichtet werden, obwohl Studien zeigen, dass Großraumbüros die Menschen "krank, feindselig, unmotiviert, aggressiv und weniger hilfsbereit" werden lassen, wie aus Susan Cains Bestseller Quiet zitiert wird. Und Teamarbeit, deren Wichtigkeit weder in dem Artikel noch hier grundsätzlich angezweifelt werden soll, deren Zweck aber zumindest differenziertere Überlegungen verdient, weil Untersuchungen darauf hindeuten, dass die wirklich großen Ideen eher in einzelnen Köpfen als in Gruppen reifen.

 

Am Ende erachten die Zeit-Autor*innen gar eine Trendwende als möglich: "Globale Technologieunternehmen, deren Gründer vornehmlich zur schweigenden Hälfte der Bevölkerung zählen, machen nun einen Schritt zurück und könnten damit eine Trendumkehr einleiten. Sie berücksichtigen Ruhe und Konzentration durch Einzelarbeit und versuchen, den Einfluss von Störfaktoren, Spontaneität und Stimmengewirr zu begrenzen."

 

Wünschenswert sind solche Bestrebungen allemal. Und vielleicht scheint sich ja zumindest die Erkenntnis durchzusetzen, dass es eben nicht die eine universal anwendbare Modelllösung gibt. Wir sehnen uns zwar in allen (Lebens- und Arbeits-)Bereichen nach Patentrezepten. Aber Erfolgsgeschichten lassen sich leider oft nicht kopieren. Zu unterschiedlich sind die Gegebenheiten von Unternehmen zu Unternehmen, von Team zu Team, von Mensch zu Mensch. Zu viele verschiedene Faktoren spielen letztlich mit. Was in einem Fall passt, führt andernorts zu nichts. Was die einen zu Höchstform auflaufen lässt, bedeutet für andere eine Tortur.

 

So wertvoll Impulse sind, die auf gemachten Erfahrungen beruhen, und so gerne man aus fremden Fehlern auch für sich hilfreiche Schlüsse ziehen möchte, so frustrierend kann es sein, ein ach so erfolggekröntes Modell überzustülpen und damit zu scheitern. Manchmal liegt genau darin die Krux, dass in der Nachahmung der schrittweise Prozess der selbstgemachten Erfahrung fehlt. Am Ende braucht es immer den Blick auf den jeweiligen Kontext einer Problemstellung, auf die spezifischen Besonderheiten und insbesondere die Bedürfnisse aller Beteiligten.

Still & Stark - mein Blog für introvertierte Gründer*innen